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Foto © Heidi Grell | grell-fotografie.de

In dem Altonaer Hotel arbeiten (fast) nur Behinderte

Artikel vom 31. August 1996

Ein Pressebericht der Zeitung Hinz & Kunzt im August 1996. Text: Uli Jonas.

Allpaletti im Stadthaus-Hotel

Claudia Pokoiewski hat gute Laune, und das hat einen einfachen Grund: Sie arbeitet zusammen mit ihrem Freund Sönke Petersen in der kleinen Wäscherei des Stadthaus-Hotels.
„Die Manschetten und den Kragen muss man vorbügeln, weil sie dicker sind“, sagt die 24jährige. Sie macht`s gleich vor und erzählt dabei, wie sie sich in ihren „Schatz“ Sönke verguckt hat. „Das war auf seiner Geburtstagsfeier im Februar. Da fragte eine Freundin mich: „Ist der nicht schön?“ Und ich sagte: „Ja, der ist schön.“ Die Augen der Frau strahlen.

Claudia und Sönke sind zwei von insgesamt acht jungen Menschen mit geistiger Behinderung, die im Stadthaus-Hotel arbeiten – und in zwei Wohnungen darüber wohnen. Ermöglicht haben ihnen das ihre Eltern. „Unsere Kinder gingen gemeinsam zur Schule. Schon damals waren sie eine sehr harmonische, liebevolle Gruppe“, erinnert sich Henning Born, einer der Väter. „Da dachten wir uns: muss doch möglich sein, dass sie weiter zusammen leben und arbeiten.“

So einfach war aber nicht, denn normalerweise wäre die Gruppe in alle Winde zerstreut worden: die beiden Schwerstbehinderten in Wohngruppen, die anderen in Behinderten-Werkstätten. „Dann müssen wir eben selbst Arbeitsplätze schaffen“, dachten sich die Eltern und gründeten den Verein Werkstadthaus Hamburg. Das Konzept war einfach und überzeugend: „Wir wollen unsere Behinderung nicht verstecken, sondern zeigen, welche Vorteile damit einhergehen; zum Beispiel sind unsere Kinder ja sehr freundlich.“

Da lag die Idee vom Hotel nicht mehr fern. Die Sozialbehörde war sofort begeistert, spendete Rat und Geld. Schwieriger war die Suche nach einem geeigneten Haus. Schließlich willigte der Reichsbund Wohnungsbau ein, das Projekt zu beherbergen. Ihre Sparkonten mussten die Eltern dennoch plündern: 200 000 Mark haben sie aus eigener Tasche für Umbau und Einrichtung gezahlt. Immerhin sollte ein „anspruchsvolles Hotel mit Schick“ werden – und ein behindertenfreundliches zudem.

Knapp drei Jahre nach der Eröffnung kommen Menschen von überall her, um sich das ungewöhnliche Projekt aus der Nähe anzusehen. Zum Beispiel Annette und Jochem Schult aus dem Rheinland. „Wenn unsere behinderte Tochter älter ist, wollen wir vielleicht etwas ähnlichaufziehen“, sagt die 38jährige Mutter. Sie ist begeistert: „Weil die Behinderten hier so viel wie möglich ins normale Leben integriert werden. Eine Werkstatt für Behinderte ist dagegen doch eher ein Ghetto.“

Auch Claudia Pokoiewski erinnert sich nicht gerade mit Begeisterung an ihre Werkstatt-Zeiten. Damals tütete sie Schrauben ein. „Da sitzt man nur und arbeitet mit den Händen. Hier bewegt man den ganzen Körper.“ Und wie: Morgens um sieben holt sie die Brötchen für die Gäste. Dann baut sie das Frühstücks-Büffet auf: „Joghurt, Wurst, Käse, Orangen-Saft, Milch, Müslis, Kaffee hinstellen, Tassen umdrehen, Kaffeesahne und Blumen hinstellen, Gardinen aufziehen, Fenster öffnen, Musik anmachen…“ Souverän spult die junge Frau ihren Tagesablauf ab.

Nach dem Frühstück: Die Gäste von Zimmer 3 haben gerade das Hotel verlassen. Claudia Pokoiwski wechselt Bettwäsche und Handtücher. Dann putzt sie das Bad. „Mir macht alles Spaß“, sagt sie und scheuert mit einem Lappen hingebungsvoll das Waschbecken sauber. Doch noch aus einem anderem Grund ist sie mit ihrem Job zufrieden: „Die Kollegen sind friedlich, pünktlich und strahlen meistens wie die Sonne.“

Damit meint sie sicherlich auch Clemens Paschen. Der 26jährige läuft mit einem kleinen Tablett in der Hand zwischen dem Frühstücksraum und der Küche hin und her. Zwei Gäste betreten die Lounge.
„Guten Morgen“, begrüßt Clemens die beiden Frauen, macht einen kleinen Diener und fragt lächelnd: „Wollten Sie frühstücken?“ Dann weist er ihnen mit dem ausgestreckten Arm den Weg. Clemens mag vor allem den Frühdienst, wenn er mit den Gästen auch mal ein Schwätzchen halten kann. Da er Englisch gelernt hat, begeistern ihn vor allem Menschen aus dem Ausland. „Ich staune immer wieder, wie vielseitig die Leute sind.“

Auch Sönke Petersen arbeitet gerne in dem Hotel mit den sieben Zimmern. Er ist der „Chef“ der kleinen Wäscherei im ersten Stock. Waschen, Trocknen, Bügeln, Mangeln, Rechnungen schreiben – das allerledigt Sönke selbständig: „In anderen Betrieben steht immer jemand hinter dir und sagt: Das und das muss auch noch gemacht werden. Hier ist das nicht so.“ Trotz aller Freiheit: Einen Chef gibt auch im Stadthaus-Hotel. Arezki Krim heißt er.

Der 49jährige Hotel-Manager sorgt gemeinsam mit einer Sozialpädagogin und einer Hotelfachkraft für den reibungslosen Ablauf des Betriebes. Krim hat vorher in großen Hotels gearbeitet, zum Beispiel im „Vier Jahreszeiten“. Mindestens eine schlechte Angewohnheit aus dieser Zeit musste ich ruhig bleiben, sonst passiert bei meinen Mitarbeitern gar nichts mehr.“
Krim ist Geschäftsführer mit Leib und Seele: „Wir sind die Hoffnung von allen Behinderten!“ Immer wieder, so berichtet er, kommen Eltern vorbei und fragen, ob nicht auch ihr Kind in dem Haus arbeiten könne. Bis nach China und Australien dringt der gute Ruf des Stadthaus-Hotels inzwischen, wie die Eintragungen im Gästebuch beweisen

Allespaletti also? Nicht ganz: Der Zuschuss des Arbeitsamtes für das Gehalt Krims läuft dieses Jahr aus. Zwar sind die 130 bis 220 Mark teuren Zimmer zu 65 bis 70 Prozent ausgelastet. Dennoch ist das Projekt noch von Spenden abhängig. „Da das Hotel so klein ist, müssen wir größere Gruppen ablehnen“, schildert Henning Born das Dilemma. Er ist aber optimistisch, möchte die Wäscherei zum zweiten finanziellen Standbein ausbauen. Die Unterstützung der Nachbarschaft hat das Projekt heute schon: Firmen quartieren im Stadthaus-Hotel ihre Geschäftspartner ein, und der Direktor der naheliegenden Sparkasse hat dem Vereinsvorsitzenden Born neulich gesagt: „Wir sind so froh, dass Sie da sind!“

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