In Deutschland einmalig: Mitten in Hamburg betreiben Behinderte ein kleines Hotel.
Die Zeit vom 11. Februar 1994, von Hanns-Stefan Grosch.
Presse-, Medienbericht: DIE ZEIT
Einer hat ins Gästebuch geschrieben: „Der Geist lässt sich nicht behindern.“ Den Beweis zu liefern ist die Mannschaft des Hotels angetreten, in dem das Gästebuch liegt. Begeisterung, aufmunternde Worte – die Eintragungen beweisen: Unwohl gefühlt hat sich hier in den paar Monaten seit der Eröffnung noch niemand. Obwohl – oder weil? – das Hotelpersonal fast ausschließlich aus Behinderten besteht.
„Wir haben uns damals überlegt, was unsere Kinder besonders auszeichnet“, sagt Roswitha Born, Mitglied des Vereins Werkstadthaus Hamburg, in dem sich Eltern behinderter Kinder zusammengeschlossen haben. Es sei die freundliche Ausstrahlung, die Herzlichkeit. „Was lag da näher, als einen Dienstleistungsbetrieb aufzumachen?“ fragt Roswitha Born. Denn die Kinder der acht Elternpaare, die den Verein bilden, sollten etwas Sinnvolles tun.
Also machten sich die Eltern ans Nachdenken. Das Hotelprojekt kam dabei heraus. Dass sie damit bei den Behörden auf einhellige Begeisterung stoßen würden, hätten die Vereinsmitglieder nicht gedacht. „Aber wir wurden überall mit offenen Armen empfangen.“ Mit ganz konkreten Vorstellungen ging man auf die Suche nach einem geeigneten Objekt. In der Altonaer Holstenstraße, mittendrin im Großstadttrubel, wurden die Eltern fündig. Die Reichsbund GmbH plante dort ein Gebäude des sozialen Wohnungsbaus. gelang dem Werkstadthaus-Verein, den Bauherrn für die Idee zu gewinnen und die unteren Stockwerke nach eigenen Plänen zu gestalten.
Jetzt liegt im Erdgeschoss das Hotel, darüber befinden sich die Räume der Wohngruppe, in der die Behinderten in ihrer Freizeit betreut werden. Dort gibt auch eine kleine Wäscherei. Weil durch das Projekt sechs Behinderten-Arbeitsplätze geschaffen wurden, schoss die öffentliche Hand Geld zu. Die rund 300 000 Mark stammen aus der Abgabe, die Firmen zahlen müssen, wenn sie nicht genügend Behinderte beschäftigen. Damit und aus Spenden hat der Verein die behindertengerechte Ausstattung des Hotels finanziert. Und die ist perfekt. Breite Türen, die sich teilweise auf Knopfdruck öffnen; spezielle Duschen, unter die man auch mit dem Rollstuhl kommt; Waschbecken in der richtigen Höhe; Schränke, an die auch Rollstuhlfahrer herankommen; und überall Haltegriffe, an denen man sich entlanghangeln kann. Die ganze Anlage ist ebenerdig, und über eine Notrufeinrichtung lässt sich jederzeit Hilfe herbeiklingeln. Ein Fahrdienst wird ebenso angeboten wie die Betreuung behinderter Gäste.
Lichte Tapeten und Vorhänge bestimmen die Einrichtung, alles ist modern und freundlich. Ein ganz normales Hotel also, mit viel Komfort. Die Gäste sollen sich hier gut aufgehoben fühlen, gerade auch behinderte. Eine Hemmschwelle existiert nicht. Denn schließlich ist das Personal, das hier die Zimmer aufräumt, die Badezimmer putzt und das Frühstück macht, ja selbst behindert.
Zum Beispiel Clemens Paschen. Der 24jährige ist rastlos um das Wohl seiner Gäste bemüht. Gerade erst hat er sich auf englisch mit zwei Russen verständigt, schon eilt er in Richtung Küche, um frische Wurst zu organisieren. Clemens` Merkfähigkeit ist so stark eingeschränkt, dass er als geistig behindert gilt. Er spricht hastig, seine Bewegungen sind mitunter fahrig. Im Service des Hotels war das bisher nur selten ein Problem. „Ein paar mal habe ich vergessen, wie lange die Frühstückseier kochen sollten“, bekennt Clemens.
Wenn er mal nicht mehr weiter weiß oder durch die Hektik in Bedrängnis gerät, greift ihm Arezki Krim unter die Arme. Krim ist Direktor des Hotels und nicht behindert. Er sorgt dafür, dass die kleinen Pannen, die seinen Schützlingen gelegentlich unterlaufen, schnell behoben werden. „Aber da gibt immer seltener Schwierigkeiten“, berichtet der gebürtige Algerier. Die Mitarbeiter hätten mittlerweile schon viel dazugelernt und an Routine gewonnen. Zwar verfügt das Hotel nur über sieben Zimmer und bietet gerade mal für ein Dutzend Gäste Platz. Aber die sechs behinderten jungen Leute im Alter zwischen 19 und 24 Jahren machen ihre Arbeit sehr gründlich und liebevoll und brauchen dafür etwas länger.
„Wir waren verwundert, dass das Projekt von gesunden Gästen so wohlwollend aufgenommen wird“, erzählt Roswitha Born. „Überraschenderweise hatten wir kaum behinderte Gäste, obwohl unsere Ausstattung so gut ist.“ dominieren Geschäftsleute oder Touristen. Immer wieder kommen Gäste, die das Hotel im Vorbeifahren entdeckt haben. An der Behinderung des Personals stören sie sich nicht. Die meisten wollen wieder kommen oder empfehlen das Haus weiter. Wer Clemens im Service beobachtet und sieht, wie etwa Kerstin und Dirk sich um die Zimmerreinigung kümmern, weiß warum. Sie sind mit Beigeisterung bei der Sache. „Mir macht die Arbeit großen Spaß“, sagt Clemens. Mit ausgesuchter Freundlichkeit bedient er die Gäste beim Frühstück. Und diese Freundlichkeit ist echt
Anderthalb Jahre lang haben Clemens und die anderen eine Hauswirtschaftsschule besucht, und auch jetzt gehen sie noch einmal die Woche zum Unterricht. Die übrigen vier Tage arbeiten die Behinderten jeweils halbtags und lösen sich reihum ab. Bezahlt werden sie nach Tarif. Lohn und Gebäudemiete von monatlich rund 7500 Mark soll das Hotel abwerfen. Das fällt bei Zimmerpreisen von 130 bis 180 Mark nicht leicht. Darum wird der Chef, Arezki Krim der seit über zwanzig Jahren im Hotelgewerbe arbeitet, von der Stadt entlohnt. Ohne ihn ginge hier nichts: Er bringt seine Erfahrungen ein, weist die Mitarbeiter an und kontrolliert die Ergebnisse. „Der Gast darf den Zimmern und dem Service nicht anmerken, dass das Personal gehandikapt ist“, sagt er. Zu diesem Zweck hat er ein spezielles Putzlappensystem eingeführt. Die Lappen sind farbig sortiert. Der gelbe etwa ist in der Küche tabu und darf nur für die Toiletten benutzt werden. Das wichtigste sei, sich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen, sagt Arezki Krim.
Für die Zukunft hat der Verein weitere Pläne
So soll die Wäscherei, in der derzeit nur die Hotelwäsche gereinigt wird, auch für Kunden von außen offen stehen. „Unsere Kinder können eine Menge leisten, wenn wir ihnen die Möglichkeiten schaffen“, sagt Roswitha Born.