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Foto © Heidi Grell | grell-fotografie.de

„Was Besonderes? Nö.“

Artikel vom 24. Februar 2001

Das Projekt ist einmalig in Europa: In Altona führen behinderte und suchtkranke junge Menschen ein Hotel und ein Café. Sie wollen keine Sozialbiotope, sondern Arbeitsplätze und Wirtschaftlichkeit – wie alle anderen auch. Text: Sannah Koch

Presse-, Medienberichte: Hamburger Abendblatt

Die Türglocke läutet. Der junge Mann nestelt nervös an seiner Krawatte, bevor er etwas unbeholfen öffnet. Eine Dame steht da und fragt, wo das Treffen ihres Arbeitskreises stattfinde. Als Antwort hört sie von ihm ein schwer verständliches Nuscheln und wird freundlich zum Tagungsraum begleitet. Manche Gäste sind irritiert, wenn Rezeptionist Sönke Petersen sie in Empfang nimmt. Kaum jemand erwartet schließlich, in einem Hotel auf einen behinderten Mitarbeiter zu treffen. Menschen mit körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen, so denken viele, gehören nicht in den Service und schon gar nicht an die vorderste Front. Für die gibt doch spezielle Werkstätten.

Wer so denkt, bringt sich um schöne Erlebnisse. Zum Beispiel um die einmalige Mischung aus Tapsigkeit, Freundlichkeit und Freude, mit der hier im Stadthaushotel der morgendliche Kaffee serviert wird. Claudia Petersen, die ihren Ehemann Sönke – den Rezeptionisten von vorhin – hier im Hotel kennen gelernt hat, hat das Down-Syndrom. Sie kocht morgens mit Inbrunst und Sorgfalt die Frühstückseier und gießt den Gästen fürsorglich Kaffee nach. Die Hotelgäste haben jedenfalls an der Bedienung der jungen Frau nichts auszusetzen, im Gegenteil.

„Der Service ist hier eher ein bisschen freundlicher als in anderen Häusern“, meint der Geschäftsmann Werner Therman, der sich regelmäßig im Stadthaushotel einquartiert. Vor seinem ersten Besuch hatte er nicht gewusst, dass von behinderten Menschen geführt wird. „war eine positive Überraschung“, sagt er, „ich würde das Hotel jederzeit weiterempfehlen.“

Dreißig Meter Luftlinie entfernt in der Max-Brauer-Allee serviert Carsten gerade das Mittagessen im Café MaxB. Lammfilet mit Pesto, Ruccolasalat mit Schafskäse und Straußensteak sind nicht nur ein Gaumen-, sondern auch ein Augenschmaus. Schülerinnen der benachbarten Erzieherfachschule hocken am Tisch nebenan bei Milchkaffee und Kuchen. Im vergangenen Oktober wurde das Café eröffnet, die Gäste werden von ehemaligen Junki und psychisch behinderten jungen Leuten bedient. Die angehenden Erzieherinnen finden das weder sonderlich aufregend noch bemerkenswert. „Ist einfach ein gutes Café“, sagen sie. „Was Besonder? Nö. Davon merkt man nichts.“

Soll man auch nicht. Weder das Café MaxB noch das Stadthaushotel werben mit dem Schild „Sozialprojekt“. Hier gehen Menschen schlicht ihrem Broterwerb nach. Einer Arbeit, die zwar speziell auf ihre Fähigkeiten zugeschnitten wurde, die aber nicht in einem extra geschützten Raum stattfindet.

Hier wird nämlich hart kalkuliert: Beide Einrichtungen sollen keine sozialen Zuschussprojekte sein, sondern sich wirtschaftlich weitgehend selber tragen. „Würde bekommt ein Mensch dadurch, dass er seine Leistung beweisen kann“, sagt Kai Wiese. Er ist Vorstandsvorsitzender von jugend hilft jugend Hamburg, dem Verein, der neben zahlreichen anderen Projekten im Suchtbereich auch Trägerschaft und Geschäftsführung des Cafés und Hotels inne hat.

„Wir wollen nicht auf der Mitleidsschiene fahren“, betont Kai Wiese, „wir glauben: Mehr erwirtschaften bedeutet mehr Stolz auf die eigene Arbeit.“

Der 31-jährige Carsten mit dem Pferdeschwanz arbeitet seit der Eröffnung des Cafés im Service. Vier Jahre lang hatte er Heroin genommen, war an einigen Entzügen gescheitert. Seit gut einem Jahr braucht er wegen einer Substitutionsbehandlung kein Heroin mehr. Auch den Ersatzstoff Methadon hat er abgesetzt. Aber noch fehlt es ihm an Selbstvertrauen, ins ganz normale Leben zurückzukehren. „Ich hätte mich nicht getraut, mich irgendwo um einen Job zu bewerben“, sagt er, „man verlernt eine Menge, wenn man lange auf Droge rumhängt.“ Jetzt kann er sich ein Jahr lang im Café MaxB an einen normalen Arbeitsalltag gewöhnen, dann muss er ihn auch im echten Leben packen. Nur die drei Stellen für die psychisch Behinderten im Café sind unbefristet; die übrigen sechs Jobs sind auf ein Jahr angelegt. Damit keine sozialen Hängematten daraus werden.

Was in Altona an der Holstenstraße und in der Max-Brauer-Allee schon alltäglich wirkt, ist in Wahrheit noch sehr ungewöhnlich. „Europaweit einmalig“ nennt Axel Graßmann von jugend hilft jugend Hamburg diese Kombination von Arbeitsplätzen für geistig und psychisch Behinderten und Suchtkranke, die sich auf dem Markt zurechtfinden und behaupten wollen. Die meisten Projekte dieser Art funktionieren derzeit noch eher nach dem Prinzip geschützter Werkstätten:
viel Betreuung, viel Schonraum und wenig echte Anforderung. „Wir wollen mit dem Stadthaushotel und dem Café MaxB nicht auf der Mitleidsschiene fahren“, betont Kai Wiese, „wir glauben: Mehr erwirtschaften bedeutet auch mehr Stolz auf die eigene Arbeit.“

Das Café setzt auf qualitativ hochwertige Küche: Für den Mittagstisch kochen zwei Köche, die in exzellenten Häusern ausgebildet wurden. Abends bleibt das MaxB vorerst noch geschlossen, kann aber für private oder geschäftliche Gesellschaften, Ausstellungen oder andere Zwecke gemietet werden – Bewirtschaftung inklusive.

Im Hotel treffen unterdessen um neun Uhr die übrigen Mitarbeiter ein. Gunther Faß, Jens Lüttensee, Dirk Becker und Clemens Paschen, jeder mit Fliege und Jackett bekleidet, machen sich unter den wachsamen Augen von Hotel-Leiter Arezki Krim daran, die Zimmer herzurichten. Betten beziehen, Bäder und Zimmer putzen, die Wäsche aus Hotel und Café anschließend in der hauseigenen Wäscherei reinigen. Das gehört zu den täglichen Aufgaben, die jeder der Mitarbeiter erledigen können soll. Krim ermuntert sie, hin und wieder auch Aufgaben an der Rezeption zu übernehmen. Selbstverständlich ist er immer anwesend und schaut nach dem Rechten.

Eigentlich sind die acht behinderten Mitarbeiter im Stadthaushotel auch schon alte Hasen. Sie führen das Hotel seit 1993. Damals hatte der Verein „Werkstadthaus Hamburg“, eine Gruppe von Eltern behinderter Kinder, das Hotel mit 111 Betten und einer Wohngruppe im Stockwerk darüber gegründet. „Wir haben inzwischen sehr viel Stammkundschaft“, betont Krim, „wer einmal da war, kommt auch wieder.“ Mit einer Auslastung zwischen 50 und 60 Prozent schrammt das Hotel allerdings noch knapp an der Wirtschaftlichkeit entlang. Spenden halfen bislang, die Defizite auszugleichen.

Das soll sich nun ändern. Im nahe gelegenen Neubau von jugend hilft jugend Hamburg sind außer dem Café MaxB unter anderem auch sechs neue Doppelzimmer für das Hotel entstanden. Sie sollen helfen, das Hotel wirtschaftlicher betreiben zu können. Weil sich dafür aber keine neuen Stellen leisten kann, bedeutet das für die Angestellten mehr Arbeit.

Langfristig, wünscht sich Kai Wiese, wäre toll, wenn die Jobs zwischen Hotel und Café flexibel eingeteilt werden könnten. Dann könnten sich die Beschäftigten auch mal in wechselnden Bereichen ausprobieren.

jugend hilft jugend Hamburg hat in Hamburg bereits ein Netzwerk verschiedenster Arbeitsfelder für Suchtkranke entwickelt. In unterschiedlichen Werkstätten (z. B. Fahrradwerkstatt, Renovierungskolonne) können ehemalige Abhängige in Vollzeit oder tageweise arbeiten. Die Vermittlung erledigt unter anderem die Agentur „Zeitfluß“.

„Wir müssen aus dem Schubladendenken herauskommen“, sagt Kai Wiese. gehe nicht darum, für jede Art von Beeinträchtigung Sonderformen zu entwickeln, sondern Menschen flexibel und ohne Sozialklimbim auf eine realistische Bahn zu bringen. Oft sei nämlich nur wichtig, ihnen beim Anfang zu helfen. Wenn sie erst mal auf den Zug gesprungen sind, sagt Wiese, laufe meist „ganz von selber“.

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